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Beiteräge 2007 Titel

6.2.07

Eskapismus Über Langeweile, Zeitungsmeldungen und eine Freizeitmesse

 Es war ein trüber Februartag. Die Zeitungen meldeten, der Krieg um Öl führt zur Selbstzerfleischung der Bewohner, die im besetzten Territorium leben. Wie einst die Indianer gegeneinander gehetzt wurden, so heute die Schiiten und Sunniten, die Mennoniten und Israeliten, die Kurden und die Araber ... Das alles nur um das schwarze Blut der Erde zu fördern, „Quallenblut, Fett der Saurier, Panzer der Echsen, das Grün der Farnwälder, die Riesenschachtelhalme, versunkene Natur“. Der schwarze Stein, der in Deutschland zu teuer ist, aus tiefster Tiefe herauf gehoben zu werden, wird dem Basalt oder Sandstein, zwischen dem er liegt, als Zwischenschicht vorläufig bleiben. „Streit um Steinkohle findet kein Ende“. Die Förderkörbe werden bald stillstehen, weil die besetzten Ölfelder noch das schwarze Blut der Erde nach Europa und Amerika pumpen.

Alles geht seinen profitablen Gang, die Deutsche Bank macht „Mehr als Peanuts“ Gewinn, der nicht kriminelle Chef kann wieder lachen, aus Rücksicht auf seine journalistischen Propagandisten vermeidet er das Victoryzeichen und deutet stattdessen mit seinen zwei Fingern nur die Gewinnspanne an, so die Botschaft des Bildes in der „Süddeutschen“. Das Blatt spricht von mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt, aber ob das die Preise für die Haushalte senkt, wird jeder bezweifeln, der die Tricks der „Energieriesen“ kennt.

Das hiesige Provinzblatt zeigt einen Fahne schwingenden Sportler als Titelfoto, Nationalismus als Sport, Nationalismus beim Kampf um Öl, Fahnen geschmückte Autos der Nachbarn bei jedem nationalen Sieg im Sport. Für die Armee wird wieder geworben. Selbst linke Bürgermeister senden ein Grußwort. Man braucht wieder die Soldaten, Nationalismus ist dabei unumgänglich. Wie einst bei Goebbels wird er auch auf ganz Europa ausgeweitet, diesmal mit Zustimmung der europäischen Internationale der Vermögenden. Russland wird umschmeichelt wegen seines Öls, Gegengewicht gegen den großen Bruder jenseits des Atlantiks. Da freut man sich auch zu lesen, dass ein Luchs einen Rottweiler ins Ohr gebissen hat, manchmal wehrt sich die Natur, wenn man ihr zu nahe auf das Fell rückt.

Diese Freude des Ressentiments macht den Tag aber nicht heiterer. Ich muss weg von der morgendlichen Zeitungslektüre, weg in eine andere Umgebung, auch wenn es sich nicht aufklärt, so kann man doch von schöneren Flecken der Erde träumen, von Reservaten der Natur, wenn auch vermarktet, was sie jedoch nur können, weil dieses Areal nicht ganz zubetoniert ist, weil zumindest die Ahnung von unberührter Landschaft aufkommen kann, weil es einfach etwas anderes ist ... Die Messe ABF (Freizeitmesse in Hannover) füttert die Fantasie, Weingut an Weingut präsentiert den herben Saft der Trauben, vergoren und betäubend, nur weg aus der Langeweile, Gekochtes, Gebratenes, Geschnetzeltes, Gesiedetes, Gebackenes aus ganz Deutschland, aus ganz Europa, aus der ganzen Welt. Rostbratwurst aus der vergangenen Heimat, nur noch Erinnerung an den Geschmack, Nostalgie des Gaumens; Girosteller, aber ein deutsches Rezept, in Griechenland eher selten zu finden; die Pizza in Italien schon eher. Die Menschen genießen das Essen, auch wenn sie stehen müssen, das Gedränge hält sich an diesem Freitag in Grenzen, dennoch, wenn es nichts zu sehen gäbe, wäre es unerträglich. Die zur Schau gestellten Esswaren, Nippes, Souvenirs, Prospekte und Weine greifen nach dem Passanten, sagen ihm, auch du kannst dir dein Glück kaufen, auch du kannst deinem tristen Milieu entfliehen. Die Langeweile wäre zu Hause eher zu ertragen als die Menschenmassen, die sich blind von den ausgelegten Dingen ergreifen lassen und dich umspringen, wenn du ihrem interessierten Schlenker nicht ausweichst, wenn, ja wenn es nicht die Buntheit hier gäbe.

Da bringen zwei Pantomimekünstler die spontan auflaufende Menschentraube zum Lachen, die Venus und irgendein Cäsar, der Griechenland einst eroberte, schauen huldvoll dem Spiel zu, da sie in ihrem Marmor (oder ist es nur Gips?) gar nicht anders können. Tod, vergangen, nur noch ein Traum vom Gewesenen, jetzt Ambiente für die Fantasie, die sich nach fernen Ländern sehnt. „Es redet trunken die Ferne wie vom künftigen großen Glück“. Doch auch dort ist das Glück nur punktuell, etwa auf dem Gipfel des Uluru, denn Coca Cola dringt bis in den letzten Winkel der Wüste vor. Selbst das wilde Amerika darf nicht fehlen, die einst abgeschlachteten Indianer (damals ging es um Land und Gold) eignen sich wunderbar zur Reklame für einen Trip in den einst wilden Westen. Eskapismus mit Abenteuergefühl in klimatisierten Pullmans und Wellneshotels. Selbst Dreijährigen wird der wilde Westen zum Faszinosum: Ein Kanu mit zwei Indianern paddelt über den Eriesee ... Die Indianer sind elektrisch angetriebene Puppen, eine Mechanik bewegt ihre Arme und der Eriesee ist auch nicht der Eriesee, sondern ein Planschbecken mit 20 Zentimeter Wassertiefe. Irgendwie muss das der kleine Junge geahnt haben, denn in einer Übersprungshandlung klettert er seinen Buggy hinauf, vielleicht weil er den Griffgipfel noch nie erreicht hat, Lust auf Neues, frühkindliche Entscheidungsfreude unter den Augen der Mutter. Ich verlasse den wilden Westen in der Badewanne, Banalität der Anpreisung von Ursprünglichkeit, Exotik des ganz anderen, das es doch gar nicht mehr gibt und vielleicht nie derart gegeben hat, wie uns ein gewisser Karl May so schön vorgelogen hat.

Dann fällt mir das höflich gewinnende Lächeln des Oberleutnants ins Auge. Für die Armee wird wieder geworben, selbst auf der Freizeitmesse, Werbung mit Charme statt Handtaler oder Alkoholrausch und Schlag auf dem Kopf. Sofort fallen mir die Schlagzeilen ein. Sicherung der Rohstoffquellen ... Weg hier zum nächsten Stand, daran will ich hier nicht denken ... Doch ich komme nicht los, Glücksspielreklame der Wüstenstadt Las Vegas erinnert mich ans Politische: Das Glücksspielparadies Las Vegas als Abbild des politischen Hasardspiels um künftige Kriege – auch die Lust auf einarmige Banditen kann mir den Misston nicht vertreiben, den der Oberleutnant in mir provoziert hat. Das Hasard beim Glücksspiel ist bloßer Nervenkitzel auf bequemen Stühlen am Roulettetisch, schlimmstenfalls bankrott oder wenigstens nichts in der Tasche für heute ...

Ich verlasse die Halle mit Goretex, Suntex, Intech, Kunstnamen für Laminate, Jacken, die keiner mehr braucht in diesem warmen Winter ... Da zieht es mein Ohr zu dieser eintönigen Volksmusik aus Griechenland, deren Takt mit unserem Puls in Korrelation steht, herabgesunkene Kunstmusik, aufgepeppt durch sich steigernden Rhythmus, Töne aus elektronischen Konserven mit Tasten hervor gelockt, nur die Gitarre schwingt wirklich. Griechenland, diesjähriger Partner dieser Freizeitmesse, den Lohnabhängigen zugänglich in der Zeit, die ihnen das Berufsleben zur Erholung gönnt. In einer Halle weiter versucht ein Mädchen erfolglos ein schönes graues Kätzchen zu streicheln, das Jungtier, anscheinend an die Masse der Gaffer gewöhnt, weiß, wie es sich entziehen kann ... Mein Beutel ist inzwischen voll von Prospekten, vom Reiterhof, über die Kanutour bis zur Fernreise nach Namibia, nur noch eine Schwarzwälderkirschtorte, sei Jahren nicht mehr gekostet.

Dann stehe ich am Ausgang und die „Süddeutsche“ präsentiert mir den Ackermann, größte deutsche ... Das Öl, Blut der Erde, kommt mit wieder in den Sinn, die Apachi-Hubschrauber kreisen über der klaffenden Wunde des Förderlochs, bereit jeden Widerstand niederzukartätschen ...

Es reicht mir mit den gewöhnlichen schlechten Nachrichten, meine Prospekte enthalten genug Anregung, um das ganze Wochenende von der Ferne zu träumen ...

Megaira

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Letzte Aktualisierung: 02.09.2010